Anruf Schutzengel - 21. August 2009

Eigentlich wollte ich heute über die tollen, wundervollen Besuche bei meinen Künstlern erzählen und über die neugefundenen Kunstentdeckungen, spannenden Begegnungen und inspirierenden Geschichten mit all meinen Künstlern in Toronto und Umgebung .. aber erstens kommt es anders und zweitens, wie man denkt!

So schlossen wir den gestrigen Abend bei einem super entspannten Abendessen bei Alice und Bobby Teichert ab, welches von einem höllischen Gewitter begleitet wurde und uns zum Blitzgucken animierte. Alice gab uns 12 selbstgelegte (also nicht sie, sonder ihre Hühner!) Eier mit, da sie auf unserem Blog gelesen hatte, dass wir Eiersandwiches sehr mögen.

Zum Frühstück brutzelten wir das Halbe Dutzend und verzehrten diese mit Wonne, in Erinnerung an den schönen Abend. Wir beschlossen, die restlichen sechs hart zu kochen, um diese morgen mit auf die Reise zu nehmen ... um dann eben gesagte Eierbrötchen zu machen.

Wir mussten am Morgen um 10.30 Uhr das Auto umtauschen. Die Autovermietung hatte keinen Minivan für die ganze Mietdauer von einem Monat, so erhielten wir für die ersten vier Tage ein anderes Auto, welches wir eben heute Morgen umtauschen mussten. Also fuhren wir auf die andere Seite von Toronto. Leider vergassen wir dieses Mal die Karte mitzunehmen (per Computer selbstverständlich!) und so verfuhren wir uns erstmal um dann die richtige Strasse doch noch zu finden (Retos Orientierungssinn ist beeindruckend!).

Wie wir also so gute 40 Minuten im Auto unseren Weg suchen, erscheint mir wie ein Blitz ein Bild vor den Augen: Eier auf dem Gasherd im Haus von Dale und Nancy! Es durchfährt mich eine Hitzewelle gleichzeitig mit einem Friehranfall! Ich frag in die Runde: „Hat jemand von euch die Eier ausgeschaltet?“ Ohne eine Antwort direkt abwarten zu müssen (ich sah es auf Retos Gesicht!), keiner hat daran gedacht. Ich sehe plötzlich einen Film mit einem Flammeninferno vor meinen Augen abspielen, ich riech schon Rauch, ich hör schon Sirenen. Mein Adrenalin schiesst durch den Körper, ich versuche einen kühlen Kopf zu bewahren... was mache ich nun? Hatten wir doch noch gestern Abend mit Andrin die Struktur dieses Hauses studiert und festgestellt, dass die Häuser aus 90% Holz gebaut werden und er kommentierte dies mit: „Dann brennen die wie ein Erstaugustfeuer!“

Nun geht alles ganz, ganz schnell. Ich reiss meinen Computer auf auf meinen Knien und überlege mir, wen ich anrufen könnte... Dale ist irgendwo mit einem Kunden unterwegs, Nancy ist am Arbeiten, die Kinder sind bei der Schwiegermutter ... Nachbarn kenne ich keine ... Feuerwehr anrufen, die könnten die Türe aufschlagen und den Herd ausschalten... wir haben bei diesem Scheissstau sicherlich mindestens 40 Minuten bis wir zurück wären... bis dann ist ausser Asche nichts mehr da. Bei den Nachbarn sind die Maler am malen - ich hab aber keine Telefonnummer. Ich durchkämme meine Emails auf der Suche nach einer Lösung - und da erscheint die Nummer der Schwiegermutter, welche 5 Minuten vom Haus entfernt wohnt. Ich nehme also mit zitternden Händen Retos CH Natel, versuche mich zu erinnern, welchen Ländercode ich wählen muss - auch wenn dies nur eine 1 ist - eine so grosse Nummer, bei meiner Gemütsverfassung. Unterdessen laufen mir die ersten Tränen übers Gesicht, meine Hände zittern, Schweiss dringt auf die Stirn, Reto ist blass, sagt: „Ruf Nine-One-One.“ Die Kinder sind still - ganz still!

Ich versuche Yvonnes Nummer (Schwiegermutter). Ein Mann nimmt ab - uff, es ist jemand daheim! Ich frage nach Yvonne... es vergehen endlose Sekunden. „Hello, this is Yvonne.“ „Hy Yvonne, this is Evelyne from Switzerland, we are Dale and Nancys guests - listen - please drive immediately to their house - we left a pot with eggs on the stove and forgot to turn the gas off!“ „No problem, am going right now.“ Telefon ist aufgelegt.

Unterdessen sind wir in der Autovermietung angekommen. Ich renn da rein, keiner da! Das hat jetzt grad noch gefehlt! Ich ruf umher... da kommt der Mensch, der die Vermietung organisiert, mit einem Putzschwamm in der Hand und sagt mir mit lachendem Gesicht: „Es dauert nur noch 5-10 Minuten, dann habe ich Zeit für sie.“ Yea, right! Ich habe mich nicht mehr wirklich unter Kontrolle! Mit sehr dominanter Stimme sage ich ihm, dass er sich JETZT sofort um uns kümmern müsse, wir hätten keine Zeit, wir müssen sofort weiter! (Reto erklärt ihm später, dass wir einen Herd angelassen haben!)

Der gute Mensch ist so versteinert, dass sein Schwamm pitschnass auf seinem Pult landet und er die Übergabe subito unternimmt. 4 Minuten später sind wir im Minivan auf der Autobahn wieder unterwegs zurück zum Haus


Die Ruhe im Auto ist erdrückend. Was passiert mit Eiern auf einem Gasherd, wenn das Gas voll an ist, das Wasser aber sicherlich verdampft ... Reto bricht das Schweigen: „Ich glaube nicht, dass Eier Feuer fangen können.“ Mir gehen nur Gedanken durch den Kopf wie: „Wir haben unsere Pässe, unsere IDs, Kreditkarten und Bargeld auf uns ... da ist eine Familie - unsere Freunde - denen rauben wir soeben die gesamte Existenz, ihr schönes Haus, die wundervollen Kinderzimmer...!“ Tränen fliessen in einer endlosen erdrückenden Ruhe. Ein schlechtes Gewissen, eine Ohnmacht erfasst uns alle vier.

Ich werde versuchen im Haus anzurufen ... vielleicht steht es ja noch ... vielleicht nimmt ein Feuerwehrmann das Telefon ab. Ich wähle die Nummer mit verwirrten Gedanken und jemand nimmt ab. Es ist Yvonne, die Schwiegermutter! Das Telefon funktioniert, somit muss das Haus noch stehen! Sie versucht mich zu beruhigen, alles sei okay - ich breche in Tränen aus. Alles sei unter Kontrolle, die Pfanne sei im Garten, der Gasherd abgestellt und sie habe den Ventilator angeschaltet... um Frischluft zuzuführen.

Die Erleichterung wird durch ein schlechtes Gewissen direkt abgelöst. Wir haben beinahe das Haus unserer Freunde niedergebrannt! Wie können wir ihnen je wieder unter die Augen treten? Wie können wir uns je bei ihnen entschuldigen?

Die Ruhe ist erdrückend. Ich versuch Andrin davon zu überzeugen, dass Nägelkauen keine Lösung bringe. Egal, wir fahren auf der Überholspur Richtung Haus, überlegen uns, wie wir unsere Sachen zusammenpacken und ins Hotel übersiedeln um heute Abend uns in aller Form zu entschuldigen (oder sobald alle daheim ankommen). Wir versuchen uns zu trösten, gelingt aber nicht wirklich. Immer noch absolute Ruhe. Erdrückende Ruhe.

Wie wir zum Haus fahren, sehen wir, dass Dale schon daheim ist! Der Kofferraum seines Autos ist nach wie vor offen - lange ist er noch nicht da! Wir gehen ins Haus und da steht er lachend vor uns und sagt: „Hey, das ist uns allen schon mal passiert! Relax!“

Ich versuch nach wie vor, das Geschehene zu verarbeiten. Ich kann mit unseren Gastgebern darüber lachen ... wenn auch nur mit einem komischen Gefühl = Galgenhumor? Ich geniess den Abend mit lieben Freunden - auch wenn ich mir permanent das Bild eines abgebrannten Hauses vor Augen habe.

Unterdessen hab ich etwas tief ins Glas geschaut! Aber irgendwie muss ich mich heute in den Schlaf wiegen!

PS: Eier, die auf dem Gasherd stehen ohne Wasser, explodieren! Wir haben eine Stunde lang die Überreste der Detonation aus Ritzen und Spalten gefegt.