Ausgerechnet jetzt! - 31. Januar 2010

Andrin klagte gestern schon den ganzen Nachmittag über Bauchweh. Am Abend kam noch Kopfweh dazu. Sobald wir unser Hotelzimmer in Phnom Penh bezogen hatten, verbrachte der Gute den Grossteil der Zeit auf der Toilette. Aber über Durchfall will ich mich nicht noch einmal äussern... nur, dieses Mal blieb es nicht dabei. Um 4 Uhr morgens begann er sich zu übergeben und sein Köper glich einem glühenden Ofen.


Irgendwann, als es draussen schon wieder tagte, schliefen wir alle doch noch einmal ein. Am Morgen zogen Roman und Reto als erstes los, um einen Fieberthermometer, Fieberzäpflis und genügend Wasser einzukaufen. Retos Schock über die vorgefundene Apotheke und deren Auswahl an Medikamenten beruhigte die ganze Situation nicht wirklich. Was sollen wir nur tun. Nun sind wir im ersten Drittweltland angekommen und haben den ersten seriösen Krankheitsfall.


Wir haben beschlossen, bis 16 Uhr heute abzuwarten und zu schauen, wie sich das Fieber entwickelt... dann wollen wir uns entscheiden, ob wir einen Schritt zu einem lokalen Arzt wagen oder nicht. Keine einfache Entscheidung.


Chronik:


Reto und ich haben so richtig Angst. Gehen wir mit unserm Patienten in ein Spital oder nicht. Reto befürchtet, dass die Infrastruktur in den Spitälern hier sehr schlecht ist. Wir würden wohl in Karantäne gesteckt. Nicht unbedingt der Ort, für so was. Wie würden sie Andrin behandeln? Was, wenn es Schweinegrippe ist, was wenn Malaria ... Im Internet finden wir, dass es in der Millionenstadt Phnom Penh gerade mal einen Spital gibt, welches westlicher Ansprüche gerecht wird. Die Wärmekamera, die am Flughafen sämtliche Neuankömmlinge aufnahm, um die fiebrigen auszusortieren, dient wohl hauptsächlich dazu, die Kranken gar nicht erst ins Land zu lassen. Wohlwissend, dass die Infrastruktur inexistent ist. Kamboscha ist ein richtiges Drittweltland. Der Schweizer Kinderarzt Beat Richner (Beatocello) hat hier seit den Achzigerjahren vier Kinderspitäler eröffnet, welche vollumfänglich durch Schweizer Spenden finanziert werden. Einen solchen Spital zu besuchen, wäre sicher spannend, jedoch lieber als anteilnehmender Geldgeber, als als Eltern eines kranken Kindes!


Andrin glüht, er hat über 40°C Fieber. Ich pack das Zäpfli aus ... es ist geschmolzen! Die letzten sechs Zäpfchen, die Reto in dieser Stadt finden konnte, sind für Kleinkinder und gleichen der Konsistenz von Zahnpasta. Ich steck die Dinger in das Gefrierfach und mache Andrin kühle Wickelumschläge. Das Brechen hat aufgehört. Das halbe Glas Flüssigkeit, das ich ihm vor 30 Minuten gab, scheint er zu behalten. Ein Fortschritt!


Das Zäpfchen hat die gewünschte Konsistenz erhalten. Andrin ist im Fieberschlaf, merkt nichts vom Einfügen. Fieber 39,2°C. Die Richtung stimmt! Reto und ich beginnen Pläne zu schmieden, wie wir Andrins Fieber unter die Fieberdetektorgeräte bringen können und mit ihm nach Singapur ausfliegen könnten. Wir suchen bereits Flüge raus, einfach zurück in die Zivilisation. Bangkok, Hongkong oder am liebsten nach Singapur... doch im Moment ist das Fieber noch zu hoch und ans Fliegen nicht zu denken.


Das Zäpfchen beginnt sein Wunder zu vollbringen und um 13.25 Uhr liegt Andrin noch mit 37,2°C im Bett. Er ist unterdessen wieder ansprechbar und erklärt sich bereit, drei Löffel Suppeessen zu versuchen. Reto und Roman stechen erneut in die Stadt, auf der Suche nach Hühnerbrühe und einem Kochgerät. Ersteres ist bald einmal gefunden. Im einzigen Elektrogerätegeschäft, finden die beiden einen ,angeschlagenen‘ Wasserkocher. Er ist gebraucht und hat einen Riss im Plastikmantel, doch er funktioniert. Der stolze angeschriebene Preis: US$ 29.--! Reto handelt ihn mit viel Geschick auf US$ 15.-- runter und Minuten später geniesst Andrin ein paar Löffel Buillon.


17.30 Uhr das Fieber ist unter 37°C gefallen! Jupee!!! Wir messen 36.8°C. Das Kinderzäpfli kann unmöglich so lange wirken! Wir messen halbstündlich. Andrin ist wach und schaut Fussball. Er beginnt das Spiel lautstark zu kommentieren! Woher kommt denn plötzlich diese kräftige Stimme?


Ist es möglich, dass ein Kind ein derart hohes Fieber innert 13.5 Stunden bewältigt? Ungläubig schlafen wir alle hundemüde um 21 Uhr ein und schlafen bis um 7 Uhr am folgenden Morgen ohne aufzuwachen durch. Andrin öffnet seine Augen - und das Fieber, das Kopfweh, das Brechen, der Durchfall ... alles ist weg! Er hat nur noch eine Körpertemperatur von 35,2°C. Wir peppeln ihn heute auf. Ich bin so froh, dass wir nicht ins Spital mussten!