Billigarbeitskräfte - 11. Oktober 2009

Jede Stadt, ja jeder Ort verändert sich, wenn man diesen für Jahre nicht besucht. Vor allem auch nach einer Boomzeit, wie wir sie in den letzten Jahren erlebten, verändern sich Städte enorm. Calgary und Edmonton besuchten wir das letzte Mal vor fünf Jahren. Da in Alberta ein Grossteil der nordamerikanischen Oel- und Gasreserven liegen, haben diese beiden Städte viele Menschen angezogen. Es herrschte eine richtige Goldschürferstimmung.

Die Leute kamen in Scharen wegen des einfachen Geldes. Wer sich am Morgen aus dem Bett bewegte, fand eine Arbeit, eine gut bezahlte dazu, da es schlicht zu wenig Arbeiter hatte. Die Hauspreise verdreifachten sich in den letzten acht Jahre und so bezahlt man heute für ein Sperrholz-Kartonhaus den äquivalenten Betrag, wie wir in der Schweiz für ein Eigenheim hinlegen müssen.

Mit dem Wohlstand kommen auch neue Aufgaben und Probleme. Es mussten viele neue Schulen, Geschäfte und Infrastruktur erbaut werden. Schon vor zehn Jahren gingen die Mütter nach 4-5 Jahren (spätestens aber, wenn die Kinder eingeschult wurden) wieder arbeiten. Mit dem Mangel an guten Arbeitskräften, beschlossen Mütter seit den Boomjahren, gleich nach der Geburt wieder arbeiten zu gehen.

Den Wunsch respektive den Luxus einer Vollzeitnanny können sich heute viele leisten und es ist ein völlig neues Stadtbild, das ich erblicke. Es fällt auf, dass in den Nachbarschaften Filipinos die Kinderwagen der Kanadier umher stossen. Auf dem Spielplatz sitzen die Nannys auf der Bank und überwachen das Spiel der zu hütenden Kinder. Im Schwimmbad kommt die Mutter mit ihren zwei Kindern daher, eines an ihrer Hand, das andere an der der Nanny. Beim Einchecken präsentiert die Mutter die Pässe und die Boardingkarte, das Baby ist jedoch am Bauch der Nanny befestigt.

Gestern waren wir bei Freunden, die haben seit neuem eine ‚männliche’ Nanny. Die Mutter hat uns erklärt, dass sie für nächstes Jahr ein Haus in Arizona gemietet hat und für einen Monat mit dem fünfjährigen Sohn dahin fahren wird. Auf die Frage der Grossmutter: „Wer wird sich dann um das Geschäft kümmern?“ Antwortete die Mutter scharf: „Du. Du wirst mir ja wohl nicht den ersten Monat Ferien zusammen mit meinem Sohn in meinem Leben streitig machen wollen!“

Ich weiss, es gibt Frauen, die arbeiten gehen müssen. Von diese spreche ich hier nicht, es geht hier um jene Frauen, die ein Kind haben, weil es zum Image gehört. Ein erfolgreicher Akademiker heiratet eine attraktive gut ausgebildete Frau, man setzt zusammen ein Kind in die Welt. Sobald die Mutter wieder auf den Beinen ist, geht sie gleich wieder arbeiten. Man stellt eine günstige Nanny an, die kaum die Landessprache spricht, schickt die Kinder später in Privatschulen und zum Abschluss in ein Internat ... man will ihnen möglichst alle Wege für die Zukunft eröffnen.

Ich habe mit dieser ganzen Thematik so meine Mühe. Die Kinder wachsen so schnell auf. Haben diese Eltern nicht einmal ein schlechtes Gewissen, dass sie für ihre Kinder nie Zeit hatten? Bereuen sie es nicht, dass sie die Meilensteine, die schönen aber auch die traurigen Momente im Kindesleben mit ihrem Nachwuchs nicht teilen konnten? Ist die Karriere diesen Menschen so viel wichtiger?

Ich weiss, dass ich sehr privilegiert bin, mit meinen Söhnen zusammen diese Reise machen zu dürfen. Auch wenn wir uns ab und zu die Hörner aneinander reiben und es hie und da ein verbaler Schlagabtausch gibt, so schätze und geniesse ich jede Minute, die ich Andrin und Roman so nahe erleben darf... denn ich lerne sie noch einmal von neuem kennen... und das ist so wunderschön!