Delirant isti Romani! - 14. September 2009

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„Die spinnen die Römer“, hat Obelix schon so oft bemerkt. Wäre er heute mit uns hier gewesen, und hätte die Verrückten, die auf dieser Seite des grossen Teiches auf wilden Pferden und übergrossen Bullen zum Wettkampf antreten, gesehen, hätte er bestimmt gesagt: Delirant isti Cowboys!

Wir halten mehr zufällig, ein Werbeplakat in der Hand mit der Aufschrift „Festival Western de St-Tite“. Es sei das grösste Rodeo Ostkanadas. Na, wie gross kann das schon sein, suchen St-Tite auf der Karte. Ein Miniörtchen, wo sich bestimmt jeder der wenigen Einwohnern persönlich kennt. Wir erwarten nicht allzu Grosses, haben wir schon mehrmals die Stampeede in Calgary besucht, welche definitiv und unangefochten, das grösste Rodeo Kanadas ist. Was kann da St-Tite schon ausrichten?

Wir fahren hin, der Verkehr nimmt zu und wir stehen plötzlich irgendwo in der Pampa in einem Verkehrsstau. Vom Festival sehen wir noch nicht viel, müssen aber schon einen Parkplatz suchen. Wir gehen mit der Masse, wie eine Büffelherde, gen den Eingang zu, um festzustellen, dass es sich hier um ein gigantischer Westerntreff handelt! Es sind bestimmt an die 500'000 Menschen auf dem Festgelände, der Menschenstrom gleicht jenem der Street Parade in Zürich, mit dem Unterschied, dass die Leute hier mehr Kleider tragen, inklusive Cowboyhüten, langen Mänteln sowie grossen Gürtelschnallen!

Wohnen tun diese in an die fünfzigtausend extravaganten Wohnmobilen, welche zusammen eine beeindruckende Campergrossstadt bilden.

Wir ergattern in letzter Minute noch vier Tickets für das bereits angelaufene Rodeo, beeilen uns und suchen im Stadion die Plätze. Die beiden Rodeos, welche heute noch laufen werden, sind bereits total ausverkauft. Wir finden unsere Plätze und es geht los! Da sitzen Mädchen und Knaben, so blutjung wie unsere Buben, auf Pferden und rasen um drei Fässer. Das Stadion tobt.

Eines der Mädchen stürzt vom Pferd, wird mit einem Höllentempo an die Wand geworfen, die Menschen stehen im Schock auf und es ist plötzlich ganz still in den Rängen, Menschen rennen zu ihm hin und da steht es winkend auf. Cowgirls sind zäh! Die Menge tobt.

Der nächste Wettkampf ist noch irrsinniger! Da kommt ein Reiter hoch zu Ross herein, reitet in Volltempo der Bande entlang, ein zweiter Reiter gibt seinem Pferd die Sporen, um dieses von 0 auf extrem viel zu beschleunigen, reitet also in einem Tempo, das man beinahe nicht aushält als Zuschauer neben ersterem her, um dann von seinem Pferd auf das andere zu wechseln, wobei der erste Reiter vom Pferd springt... und das alles bei einer Geschwindigkeit, bei der ich normalerweise im Auto die Fenster schliessen würde!

Dann werden die Canadian Champions im Bullenreiten vorgestellt, sowie der Clown, welcher den Bullen ablenken muss, sollte der dem niedergegangenen Cowboy zu nahe kommen. Die Spannung steigt, die Menschenmenge jubelt, in den Boxen stehen die Bullen bereit. Der erste Cowboy knotet seinen Handschuh an das Tier, die Türe wird mit einem Ruck aufgerissen, der Bulle tanzt wutentbrannt in die Sandarena. Acht Sekunden muss der Cowboy auf dem Tier bleiben, mit einer Hand in der Luft, mit der anderen hält er sich am Strick fest, welchen er zuvor ums Tier gebunden hat. Am Hinterteil des Bullen ist ein zweiter Strick montiert, welcher dem Tier die Genitalien zusammenschnürt (das macht den Stier so wild).

Die wenigsten der Reiter können die geforderten 8 Sekunden auf dem Tier bleiben. Einige tragen Helme, sieht zwar nicht ganz so romantisch aus, wie ein Cowboyhut, doch ich verstehe den Sicherheitsgedanken!

Einer der Reiter fällt vom Stier, kann aber seine Hand nicht losbinden und liegt nun im Nacken des wutentbrannten Tieres, welches ihn wild umher schleudert. Mehrere der waghalsigen Männer eilen zur Hilfe, um ihn aus der misslichen Lage zu befreien, was auch gelingt. Es gibt eine Standing Ovation für Reiter und Helfer!

Da kommt ein Reiter aus Alberta, bleibt 7.40 Sekunden auf dem Bullen, wird runter geworfen und findet sich vor den Hufen des wütenden Tieres liegend wieder. Der Stier geht auf den Reiter los, neigt den Kopf, rammt seine Hörner in den Unterleib des Mannes. Die Helfer und der Clown eilen herbei um das Tier abzulenken. Dieses lässt vom Reiter ab und rennt dem Clown hinterher, der sich in ein zuvor aufgestelltes leeres Schaumstofffass retten kann. Der niedergegangene Cowboy steht unverletzt auf. Die Reihen schreien und jubeln. Was für ein Spektakel!

Hat nicht schon der römische Dichter Juvenal treffend bemerkt:

Alles, was der Mensch braucht ist „Panem et Circeses“!

Übersetzt: ein Sack Chips und ein Rodeo.