Lieber Deutschland - 7. September 2009

Da sitzen wir seit gut 3‘500 km in einem Minivan amerikanischer Herkunft. Zu Beginn waren wir ja super glücklich über den grossen Innenraum und fragten uns schon, weshalb wir eigentlich so voreingenommen gegenüber amerikanischen Fahrzeugen waren... schliesslich fahren dieselben auch von A nach B und Reto sagte schon bald, wenn er eines gelernt habe, dann dass er wohl auch gut leben könnte, mit einem günstigeren Auto, als der bullige Deutsche, der zuhause in der Garage eingestellt ist.

Da sitzen wir seit gut 3‘500 km in einem Minivan und all unsere Vorurteile haben sich statt in Luft aufgelöst, nur noch verschärft. Und wenn wir nun die ersten fünf Wochen rekapitulieren und uns fragen, was würden wir heute anders machen auf so einer Weltreise, dann kommen wir einhellig und schnell zum Schluss: der bullige Deutsche hätte mitgenommen werden müssen. Hier unsere guten Gründe:

  1. -Wir haben herausgefunden, dass es nicht an Retos Reaktionszeit lag, dass er den neuen Toyota Corolla von hinten traf, sondern dass wir uns schlicht und einfach an einen anderen Bremsweg gewohnt sind. Wenn wir dem Deutschen voll auf die Klötze treten, dann bleibt dieser auch stehen! Während der Amerikaner dank ABS glücklich hüpfend sich dem Corolla nähert.

  2. -Im Deutschen hat man nur heiss im Fahrersitz, wenn man fälschlicherweise die Sitzheizung aufgedreht hat. Natürlich hat unser Amerikaner Airconditioning. Bei dem super Wetter, das wir seit Reisebeginn haben, läuft die Aircon auch ununterbrochen. Es gibt sieben Positionen, doch nach drei Wochen Rumhebeln an denselben, haben wir leider immer noch keine Einstellung gefunden, welche uns nicht entweder kalte Knie und gleichzeitig Schweissperlen an der Stirn oder Frostbeulen an den Oberarmen und Schweissfüsse beschert. So transpiriert die Person, welche die Sonnenseite erwischt fröhlich vor sich hin, während dem sich die schattenseitig sitzende Person rheumageplagt in den Faserpulli packt.

  3. -Nach mehrmaliger Pneudrucküberprüfung unsererseits, mussten wir feststellen, dass mit unseren Rädern alles in Ordnung ist und dass das Wabbeln in der Kurve offensichtlich zu diesem Modell gehört.

  4. -Wir sind uns nicht mehr gewohnt, dass die Radiolautstärke sich nicht automatisch den Umweltgeräuschen anpasst, denn wenn wir mit dem Deutschen schneller fahren und somit mehr Fahrgeräusche produzieren, wird die Musik von selbst lauter...

  5. -Unsere Kinder haben verlernt, die Türen zuzuschletzen, so müssen wir beim Amerikaner immer wieder zurück zum Fahrzeug, um die Türen richtig zu schliessen.

  6. -Beim Deutschen weiss man nicht genau, wofür all die vielen Seiten-Airbags da sind. Beim Amerikaner ist man überzeugt, dass man sie vor allem in engen Kurven gut brauchen könnte, hätte er nur welche.

  7. -Der einzige Unterschied zwischen Abblendlicht und Scheinwerfer beim Amerikaner ist ein Schalter am Armaturenbrett. Beim Einstellen der Scheinwerfer beim Deutschen erhellt sich die Nacht zum Tag.

Manch einer wird uns nun vielleicht vorwerfen, wir seien etwas elitär... das war aber nicht die Absicht. Die Geschichte über den Unterschied begann damit, dass Reto mehrere Minuten an der Sonnenblende herum fummelte, bis er mit einem Seufzer feststellte: „Och, die kann ich nicht auf die Seite drehen ... das ist ja kein Porsche.“

PS: In etwas ist der Amerikaner dem Deutschen ebenbürdig ... er hat identisch viele Getränkehalter!